Sprache und Gesundheit - Thomas Moritz

Ich denke, also bin ich …

In einem Blog macht sich derjenige, der den Blog schreibt, Gedanken. Das finde ich schön, denn aktuell beschleicht mich zunehmend das Gefühl, dass sich immer weniger Zeitgenossen Gedanken machen. Viele empören sich, aber man kann sich nicht gleichzeitig empören und Gedanken machen, denn wer sich Gedanken macht spricht diese Gedanken, leise, unhörbar, aber er spricht, und schafft damit seine Welt.

Ich spreche, also bin ich …

Wer sich empört, spricht nicht, er schreit, er ist außer sich. Wenn ich spreche, bin ich. Ich bin in mir, nicht außer mir. Wer spricht, erzeugt seine eigene Wirklichkeit, er ist also Schöpfer, Weltschöpfer, Welterzeuger. Wenn meine Sprache meine Welt bedeutet, dann sind auch die Grenzen meiner Sprache die Grenzen meiner Welt (Ludwig Wittgenstein), denn Sprache, Denken und Wirklichkeit sind eine – zur Abwechslung – funktionierende Dreierbeziehung (Benjamin Lee Whorf: Sprache - Denken - Wirklichkeit; 1982).

Daraus ergibt sich eine zwingende Notwendigkeit: Ich muss mich um meine Sprache kümmern, ich muss mich bemühen, dieses Instrument Sprache genau, gut, klar und gerecht zu verwenden und auch zu pflegen. Wie und auch Was ich spreche, ist entscheidend für meine Welt, also für mein Leben. Sprache ist etwas Wundervolles, für mich war und ist sie Medizin, Lebensmittel und Überlebensmittel gleichermaßen.

Nach dem frühen Tod meines Vaters war Sprachlosigkeit angesagt, damals war das Nichtsprechen über den Tod bewundernswert, wer schwieg, der schaffte das, wurde bewundert, war bereits mit elf ein richtiger Mann. Zuflucht und Geborgenheit fand ich nur in den dunkel heimeligen und stillen Messfeiern in der alten gotischen Kirche meines Heimatortes. Irgendwann hieß es dann: „... aber sprich nur ein Wort, so wird meine Seele gesund.“ Für das elfjährige, traumatisierte Ich war damit die Welt wieder in Ordnung, zumindest für eine gewisse Zeit. Und immer wieder begab ich mich zu diesem magischen Zauberspruch: „... aber sprich nur ein Wort!“

Sprachlosigkeit kränkt. Was kränkt, macht krank (Erwin Ringel)

  • Thomas Moritz Samstag, 28. Mai 2022 von Thomas Moritz

    Seit damals ist das meine Erfahrung: Sprache kann gesund machen, und ich weiß, dass Sprachlosigkeit krank machen kann, sogar tödlich sein kann: Kaiser Friedrich II. von Hohenstaufen (1194-1250) ließ eine große Anzahl von Säuglingen von Ammen aufziehen. Diesen wurde strengstens untersagt, mit den Kindern zu sprechen. Damit wurde versucht, eine Art Ursprache des Menschen zu entdecken. Alle Säuglinge starben noch vor Vollendungdes ersten Lebensjahres (Wilhelm Köller: Narrative Formen der Sprachreflexion; 2012).


    Sprache kann uns aufbauen, Sprache kann uns aber auch krank machen, das behaupte ich jetzt einmal, oder besser: Ich wage diesen Gedanken laut zu formulieren. Ich glaube, dass es eine Art und Weise zu sprechen gibt, die uns guttut, und ich glaube, dass es eine Art und Weise zu sprechen gibt, die uns nicht guttut. Ich glaube auch, dass das, was wir sprechen, uns guttun kann, uns aber auch schaden kann.

Du machst mich krank …

Das Motto „Only bad news are good news“ ist in der Medienbranche schon lange gängige Überzeugung für mich gerade aktuell, aber immer irritierender und belastender, denn: Inzwischen sind die bad news leider bereits auch gestaltendes Prinzip in der gesellschaftlichen Alltagskommunikation. „Deine ewig negativen Äußerungen und Geschichten machen mich krank“, sagt sie zu ihm. Vermutlich ist das nicht nur so eine unüberlegte Redewendung, regelmäßig formuliert ist das ein Störungsbild, das sprachlich umgesetzt und damit gedacht wird.


Die Möglichkeit ist gegeben, dass sich der Körper mit der Zeit daran orientiert: Du machst mich krank! Die bad news überwiegen also auch in der Alltagkommunikation, Gedanken sind nicht mehr gefragt, vor allem nicht im digitalen Circus Maximus (Johannes Huber: Die Kunst des richtigen Maßes – Wie wir werden, was wir sein können; 2021) der Social-Media-Kanäle. Empörung dominiert, die Meinungsgemeinschaften rotten sich zusammen, Gedanken sind nicht mehr frei, wir sind längst in der Selbstzensurkultur einer kranken und krankmachenden Gesellschaft gelandet, wo die Grundlage jeglicher Demokratie, nämlich die Auseinandersetzung und Debatte von der Sachebene auf die Ebene des Moralischen und Empörenden abgerutscht ist.

Die Gnadenlosigkeit der sprachlos empörten Mehrheit

Dazu kommt, dass die empörte Mehrheit zum neuen Souverän zu werden scheint, und dieser Souverän sagt: „Du bist frei, nicht so zu denken wie ich. Du behältst dein Leben, du behältst deinen Besitz, alles kannst du behalten. Aber von dem Tag an, ab dem du anderer Meinung bist, bist du unter uns ein Fremdling. Näherst du dich deinen Mitmenschen, werden sie dich wie ein unreines Wesen betrachten und selbst die, die an deine Unschuld glauben, werden dich verlassen, denn auch sie würden gemieden.

Da fällt mir der berühmte Satz von Theodor W. Adorno ein: „Es gibt kein richtiges Leben im falschen.“ Ich wage in Anlehnung an Adorno die Frage zu stellen: „Gibt es ein gesundes Leben im Kranken?“ Das bezweifle ich, aber trotzdem bemühe ich mich um meine Sprache und um meine Gesundheit, und manchmal hoffe ich sogar: „... aber sprich nur ein Wort.“

Bildnachweis: Das Forum romanum; ©paul – stock.adobe.com;© Noppasinw – stock.adobe.com

Beitrag THOMAS MORITZ

Thomas Moritz, Jahrgang 1957, Studium der Politikwissenschaft, Germanistik und Geschichte. Medienpädagoge, Gymnasial- und Hochschullehrender und Systemadministrator. Lehrbeauftragter an Universitäten und Hochschulen, langjährige Tätigkeit in der Bildung Erwachsener sowie in der Lehrerausbildung und Lehrerfortbildung.

UNFASSBAR

Unfaßbar,

wohin der Mensch kommt,

wenn er jahrhundertelang lügt.

Man stelle sich nur

die Madonna beim Tennis,

Jesus beim Golf,

oder beide auf einer

Segeljacht vor.

So wird faßbar,

daß heute ein Kind

mit dem einfachen Wort

"seht doch"

diese ganze Welt umstürzt.

Diese ganze Welt

mit Lüge, Bombe und Geld.

Jörg Waldhauser

Peter Teyml (Hsg.): Rondine

Jörg Waldhauser

Gedichte Prosa Bilder;

Innsbruck 2022; S. 41

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